Eberhard Stahl (2012)
Ziel
Die TeilnehmerInnen können das von Stahl vorgestellte Modell des Gruppenkompass noch weiter vertiefen und damit Gruppen noch genauer analysieren.
Kontext
- Gruppendynamik
- Konflikt
- Reflexion
Theorie
(basierend auf Stahl (2012): Dynamik in Gruppen: Handbuch der Gruppenleitung. S. 279 ff.)
Stahl verfeinert den von ihm eingeführten Gruppenkompass durch seine thematische Landkarte. Das Ziel der Landkarte ist es „die jeweils umstrittenen zwischenmenschlichen Themen zu erkennen und zu formulieren.“ [Stahl 2012 S. 279]
Mit Hilfe der Landkarte, sollen die Hintergründigen Probleme einer Gruppe erkannt werden können.
Stahl präsentiert „zwanzig Themen, die zehn existentielle Zwickmühlen im Gruppenraum aufspannen.“ [Stahl 2012 S. 280]
Abb. 1: Die thematische Landkarte
1. Sicherheit vs. Freiheit
Wie sehr werden Abmachungen von Gruppenmitgliedern eingehalten? Wieviel Freiheit haben Gruppenmitglieder, bestehende Abmachungen an die aktuelle Situation anzupassen? Besteht Anwesenheitspflicht in der Gruppe? Oder ist man eher ein loser Zusammenschluss?
2. Unterordnung vs. Emanzipation
Werden Vorgaben und Traditionen akzeptiert und passt man sich als Gruppe entsprechend an? Oder begehrt man dagegen auf? Wie geht die Gruppe mit Dienstanweisungen um? Eckt die Gruppe bei ihren Chefs an?
3. Solidarität vs. Eigenverantwortung
Hier handelt es sich um die Frage „wir“ vs. „ich“. Sind Erfolge und Misserfolge jene von einzelnen oder der Gruppe? Dürfen von der Gruppenmeinung abweichende Einzelmeinungen nach außen getragen werden?
4. Bedürftigkeit vs. Unabhängigkeit
„Förderklima“ vs. „Forderklima“. Dürfen Gruppenmitglieder um Hilfe gebeten werden? Oder wird von jeder und jedem Einzelnen gefordert mit Problemen alleine fertig zu werden? Darf man Hilfe verweigern?
5. Empfindsamkeit vs. Belastbarkeit
Wie sehr wird auf die individuellen seelischen und körperlichen Belastbarkeitsgrenzen der Gruppenmitglieder Rücksicht genommen? Darf Robustheit eingefordert werden? Ist es in Zeiten großer Belastung in Ordnung von den Mitgliedern Überstunden und den Verzicht auf Pausen und Wochenenden zu fordern? Gilt ein rauer Umgangston und persönliche Kritik als etwas, das man aushalten muss?
6. Mitgefühl vs. Abgrenzung
Gelten persönliche Probleme einzelner Gruppenmitglieder als relevant? Darf die Arbeit darunter leiden? Ist es wichtig für die Gruppe, wie es den einzelnen Mitglieder persönlich geht? Oder ist die Gruppe rein aufgabenorientiert?
7. Rücksichtnahme vs. Selbstbehauptung
Wie geht die Gruppe mit dominanten Mitgliedern um? Wird auf die Letzte/den Letzten gewartet? Nehmen sich die Starken zurück, um auch den Schwachen eine Chance zu geben? Sucht die Gruppe stets nach Kompromissen, mit denen alle Leben können? Oder darf es innerhalb der Gruppe auch Sieger bei Diskussionen geben?
8. Vertrauen vs. Kontrolle
Gruppen müssen sicherstellen, dass Aufgaben erfüllt und Regeln eingehalten werden. Wieviel Vertrauen hat die Gruppe zu ihren Mitgliedern? Müssen Leistungen dokumentiert werden? Kann man in der Gruppe offen ansprechen, wenn man in die Zuverlässigkeit oder Korrektheit Einzelner zu wenig/kein Vertrauen hat?
9. Emotionalität vs. Rationalität
Sind emotionale oder rationale Gründe jene die entscheiden? Werden in der Gruppe starke Gefühle gezeigt? Gelten in Diskussionen/Konflikten die eigenen Gefühle als Argument?
10. Lust vs. Disziplin
Wieviel Disziplin sollen die Gruppenmitglieder an den Tag legen? Gilt „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“? Darf ein Plan für kurzfristige Freude an der Arbeit abgeändert werden? Ist der Faktor Freude ein entscheidendes Argument bei der Frage, wer welche Tätigkeiten übernimmt?
Jedes der zehn Themenpaare kann mit Hilfe des Wertequadrats (Helwig / Schulz von Thun) analysiert werden.
Abb. 2: Beispielhaftes Wertequadrat – Mitgefühl / Abgrenzung
Die roten Pfeile zeigen die Ängste einer Gruppe an. So hat eine Gruppe, in der Mitgefühl groß geschrieben wird, Angst vor Kälte, wenn das Thema Abgrenzung angeschnitten wird.
Die grünen Pfeile zeigen Entwicklungsmöglichkeiten auf. Verschmelzen die Gruppenmitglieder schon beinahe miteinander, weil sie sich so sehr mit jedem kleinen ‚Wehwechen‘ auseinandersetzen, so kann es notwendig sein, den Gruppenvertrag in Richtung von mehr Abgrenzung zu erweitern. [Stahl 2012 S. 284]
Stahl stellt den 20 Themen die folgenden entwerteten Extreme gegenüber [Stahl 2012 S. 285]:
Sicherheit – Sklaverei
Unterordnung – Speichelleckerei
Solidarität – Gleichmacherei
Bedürftigkeit – Armseligkeit
Empfindsamkeit – Empfindlichkeit
Mitgefühl – Verschmelzung
Rücksichtnahme – Versorgungsmentalität
Vertrauen – Sich-Ausliefern
Emotionalität – Gefühlsduselei
Lust – Haltlosigkeit
Disziplin – Selbstkasteiung
Rationalität – Technokratentum
Kontrolle – Überwachung
Selbstbehauptung – Gnadenlosigkeit
Abgrenzung – Kälte
Belastbarkeit – Härte
Unabhängigkeit – Omnipotenzwahn
Eigenverantwortung – Egoismus
Emanzipation – Revoluzzertum
Freiheit – Beliebigkeit
Will man als TrainerIn/Coach die Gruppe hin zu z.B. mehr Kontrolle führen, so schlägt Stahl vor, zunächst Bewusstheit für das Thema, das dazugehörige Anti-Thema sowie dazugehörige Ängste, Tabus und (Verhaltens-)Muster herzustellen. Erst anschließend kann sich die Gruppe neu ausrichten.
Praktische Einführung
In der praktischen Einführung des Modells erweist es sich als sinnvoll, zunächst den Gruppenkompass einzuführen bevor man die thematische Landkarte vorstellt.
Diese Erweiterung des Gruppenkompasses verleiht dem ganzen einen starken Tiefgang. Um ein Gefühl für das Modell zu erlangen, macht es Sinn, dies anhand von konkreten Gruppen zu betrachten.
Kommentar
Dieses Modell soll nicht als Ersatz für Phasenmodelle dienen, vielmehr soll es diese ergänzen.
Richtiger Zeitpunkt/Voraussetzungen
Sowohl das Riemann-Thomann-Modell als auch das Riemann-Thomann-Modell als Gruppenkompass sollte im Vorfeld besprochen werden.
Querverweise
Arbeitsmaterial
- Riemann-Thomann-Modell Vorlage
Weiterführende Literatur
Das Original von Stahl
Das Riemann-Thomann-Modell beschrieben von Thomann
Das Original von Riemann, auf welchem Thomann das Modell aufbaute
Beispiel-Training (70 – 90 Minuten)
Zeit | Beschreibung | Material |
15’ | Input zum Riemann-Thomann-Modell als Gruppenkompass | Flipchart |
15’ | Eine Gruppe, die man gut kennt, mit dem Gruppenkompass analysieren – Einzelarbeit. | Zettel (Arbeitsvorlage), Stifte |
15’ | Input zur thematischen Landkarte nach Stahl | Flipchart |
10’ | Einordnung der Gruppe auf der thematischen Landkarte | Zettel (Arbeitsvorlage), Stifte |
20-40’ | Vorstellen einiger erarbeiteter Gruppen vor der Großgruppe |