Survivorship bias

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Ziel

Die TeilnehmerInnen verstehen wie der „Survivorship bias“ ihr Denken beeinflusst. Sie erkennen, dass Hypothesen, die aus der aktuellen Perspektive gebildet werden, leicht jene übersehen die es nicht bis in den heutigen Tag geschafft haben.

 

Kontext

  • Kognitive Verzerrung
  • Entscheidungsfindung

 

Theorie

Im zweiten Weltkrieg flogen die USA (und viele andere Länder) laufend Einsätze mit Ihren Flugzeugstaffeln. Sie mussten ihre Flugzeuge so gut wie möglich panzern und konnten gleichzeitig nicht einfach beliebig dicke Panzerungen bauen, da dies die Reichweite und Manövrierfähigkeit der Flugzeuge eingeschränkt hätte.

 

Die meisten Menschen würden sich intuitiv falsch entscheiden und jene Teile verstärken welche die größte Anzahl an Einschusslöchern bei den zurückgekehrten Fliegern aufweisen. Die Entscheidung ist deswegen falsch, weil die Einschusslöcher auf den zurückgekehrten Fliegern offensichtlich nicht zu Abstürzen der Maschinen führten. Im Gegenteil kann man davon ausgehen, dass gerade jene Stellen mit keinen oder wenigen Einschusslöchern besonders kritisch sind, da diese Maschinen abgestürzt sind.

 

Das Phänomen, dass unsere Hypothesen auf dem basieren, was da ist (die heimgekommenen Flieger) und Dinge ausblenden die nicht mehr existieren (die abgeschossenen Flugzeuge) nennt man „Surviorship bias“

 

Abraham Wald, eine Statistiker aus der USA, erkannte dieses Problem und entwickelte eine komplexe mathematische Theorie, wie man unter gewissen Annahmen, basierend auf den Daten der zurückgekehrten Flugzeuge, berechnen kann, welche Bereiche des Flugzeuges in Wahrheit, entgegen der Intuition, verstärkt werden müssen. Seine Abhandlung aus dem Jahr 1943 wird gerne als der Ursprung des Survivorship bias genannt – auch wenn er selbst das Wort nicht verwendete.

 

Wir treffen den „Survivorship bias“ auch in vielen anderen Bereichen an. Exemplarische seien die Künste und die Finanzwelt beleuchtet.

 

Im Bereich der Künste, herrscht bei vielen der Eindruck vor, dass die Qualität von Musik, Literatur und anderen Künsten früher höher war. Hier schlägt der „Survivorship bias“ voll durch, da wir heute nur mehr jene alte z.B. Literatur lesen die sich über Jahre als die Beste / Beliebteste erwiesen hat. Hingegen sind wir bei aktueller Literatur noch einer unausgesiebten Masse an Werken unterschiedlichster Qualität ausgesetzt.

 

Im Bereich der Finanzwelt tritt der „Survivorship bias“ zum Beispiel bei der Betrachtung von Anlegestrategien anhand eines Index auf. Beim deutschen Aktienindex DAX wird beispielsweise viermal im Jahr nach bestimmten Regeln die Zusammensetzung geändert. Manche Unternehmen werden dann nicht mehr im DAX geführt, andere kommen dazu. Betrachtet man die Performance der Unternehmen, welche heute im DAX inkludiert sind rückwirkend, ignoriert man gewaltige Pleiten wie jene der Hypo Real Estate. Diese Aktie wurde zu einem Preis von 42 Euro in den Index aufgenommen. Einige Jahre später wurde sie bei einem Preis von 3 Euro aus dem Index entfernt und verlor anschließend weitere 70 % bevor die Aktie von der Börse genommen wurde.

 

Weiters tritt der „Survivorship bias“ bei aktiven Fonds auf. Läuft ein Fonds schlecht, wird er geschlossen oder mit einem guten Fond fusioniert (sprich die Einlagen in den guten Fonds übertragen). Dadurch sieht das aktuelle Portfolio von Fonds stets besser aus als es sich in der Realität darstellt, da die schlechten Ergebnisse nicht mehr berücksichtigt werden.

 

Neben diesen klassischen Beispielen kann mit etwas Nachdenken jedeR sicher Beispiele aus seinem eigenen Umfeld finden. Zum Beispiel werden Analysen von Produktportfolios oft nur aus heutiger Zusammensetzung analysiert, eingestellte Produkte werden oft ausgeblendet. Oder man erinnert sich bei Erfolgsmessungen – wenn Ziele nicht im Vorfeld schriftlich fixiert wurden – nicht mehr an jene ursprünglichen Ziele, die gleich im Sand verliefen.

 

Praktische Einführung

Ein sehr guter Einstieg in die Theorie ist das oben dargestellte Problem der Fliegerpanzerung. Den TeilnehmerInnen wird die Situation geschildert: Sie sind dabei KommandantInnen einer Fliegerstaffel. Nach einem Einsatz kommen nur 380 von 400 Fliegern zurück. Alle weisen Einschusslöcher auf. Der Flieger kann vereinfacht gesprochen in vier Bereiche gegliedert werden. Bei den vier Teilen werden 39, 26, 19 und 18 Einschusslöcher gezählt. Nun werden die TeilnehmerInnen aufgefordert, in Einzelarbeit zu entscheiden, welche Bereiche Sie verstärken würden. Sie haben die Möglichkeit alle gleichmäßig zu verstärken oder sich auf einzelne Bereiche zu konzentrieren.

 

Das Ergebnis wird im Normalfall sein, dass sich die TeilnehmerInnen auf jene Bereiche mit den meisten Einschusslöchern und / oder die drei Bereiche mit mehreren Einschusslöchern konzentrieren.

 

Nun legt man die Analyse von Abraham Wald vereinfacht dar. Die 20 Flieger, die abgeschossen wurden, hatten vermutlich Einschusslöcher an anderen Stellen als jene 380, die es zurück schafften. Dadurch, dass es die 380 zurück schafften, kann davon ausgegangen werden, dass Einschusslöcher in den zwei Bereichen die hauptsächlich betroffen waren, kein großes Problem darstellen. Deshalb sollten die beiden Bereiche mit wenigen Einschusslöchern massiv verstärkt werden.

 

Nun kann man je nach Zielgruppe auf einzelne Bereiche, wo der „Survivorship bias“ relevant ist, eingehen.

 

Ein Beispiel könnten Ableitungen aus dem Leben von sehr erfolgreichen Menschen sein. Betrachte ich z.B. Bill Gates, Steve Jobs und viele andere erfolgreiche Menschen, könnte ich zum Schluss kommen, dass ich unbedingt kurz an die Uni muss, nur um sie dann abzubrechen und ich werde im Leben sehr erfolgreich sein. Ich beachte bei dieser Hypothese natürlich nur die Gewinner, nicht jene (größere) Masse die die Uni abgebrochen hat und keine Millionäre wurden.

Das gleiche Phänomen tritt bei Athleten auf. Der spezifische Körperbau von sehr guten Athleten einer Sportart ähnelt sich meist. Nun könnte man meinen, dass langjähriges Ausüben der entsprechenden Sportart dazu führt, dass der eigene Körper entsprechend aussieht. Vergessen wird dabei gerne auf die Tatsache, dass bestimmte Veranlagungen Spitzenleistungen im jeweiligen Sport überhaupt erst ermöglichen.

 

Will eine Personalabteilung lernen, wie sie das Unternehmen attraktiver für MitarbeiterInnen machen kann, sollte sie nicht nur jene fragen, die weiterhin im Unternehmen arbeiten, sondern auch jene, die es verlassen haben.

 

Werden best-practice-Beispiele im Unternehmen ausgetauscht sollten Hypothesen über den Erfolg oder Misserfolg von Projekten nicht nur auf erfolgreichen Projekten beruhen. Gerade auch die (früh) gescheiterten Projekte sollten mitbeleuchtet werden.

 

Bei Analysen von Kundengruppen sollten nicht nur aktive Kunden herangezogen werden, sondern auch jene, die sich gegen das Produkt / Unternehmen entschieden haben.

 

Werden Webseiten analysiert, sollte nicht nur darauf geachtet werden, was Kunden kauften und wie ihr weg dorthin war, sondern gerade auch das Verhalten jener Kunden, die ein Produkt betrachteten, es vielleicht sogar in den Warenkorb legten aber den Kauf nie abschlossen.

 

Kommentar

Wenn TeilnehmerInnen einen persönlichen Bezug herstellen können, wird die Theorie als wesentlich weniger abstrakt erlebt und es können durchaus einige aha Erlebnisse entstehen.

 

Richtiger Zeitpunkt/Voraussetzungen

Es gibt keine Voraussetzungen für diese Theorie.

 

Weiterführende Literatur

Eine Zusammenfassung der Thesen von Abraham Wald

  • Marc Mangel und Francisco J. Samaniego (1984): „Abraham Wald’s Work on Aircraft Survivability“ Journal of the American Statistical Association, Volume 79, Issue 386 S. 259 – 267

http://people.ucsc.edu/~msmangel/Wald.pdf

 

Das ursprüngliche mathematische Paper, in dem sich Abraham Wald mit der Wahrscheinlichkeit von tödlichen Treffern bei Kampfflugzeugen beschäftigt (reprint)

  • Abraham Wald (1943): „A Method Of Estimating Plane Vulnerability Based On Damage Of Survivors“

http://www.dtic.mil/cgi-bin/GetTRDoc?AD=ADA091073

 

Beispiel-Training (45 Minuten)

Zeit Beschreibung Material
10’ Erläuterung des Beispiels von Abraham Wald und Einzelarbeit, wie in der praktischen Einführung beschrieben
10’ Auflösung des Rätsels und kurze Diskussion
20’ plus Zielgruppenspezifische Vertiefung und/oder „Survivorship bias“ im persönlichen Umfeld

 

 

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